"Schöne neue Welt“ (162)

Die Klientin leidet unter einer chronischen Krankheit und aktuell unter einer schweren Infektion. Sie hat bereits 6 sehr intensive Sitzungen dazu gemacht. In dieser Sitzung beginnt sie sofort nach dem Umlegen der Augenbinde, Jammertöne von sich zu geben, die dann aber plötzlich in Lachen kipppen.

Kl: Ich kann es ja selbst nicht mehr richtig ernst nehmen, mein Jammern. Es ist zwar irgendwie alles Scheisse, aber trotzdem ist da plötzlich so eine Leichtigkeit da.
Th: Du meinst, du hast die Nase schon aus der Scheisse draussen?
Kl: Ich weiss nicht, aber ich spüre so ein Vertrauen. Irgendwie ist da so eine Leichtigkeit da, ich kann es auch nicht ändern. Ich habe einfach das Gefühl, es wird alles gut. Da ist heute nichts.
Th: Wir können ja mal einen Test ma-chen. Hol’ deine Eltern her und guck’, welche Empfindung du hast, wenn du sie wahrnimmst.
Kl: Die kommen jetzt sogar Arm in Arm und sagen „Gut gemacht.“
Th: Ok., weiterer Test - geh’ ins Kranken-haus an das Kinderbettchen.
Kl: Meine Mama holt mich sofort raus und wir gehen nach hause.
Th: Ja, das Thema haben wir ja auch in der letzten Sitzung bearbeitet und es hat sich scheinbar erhalten - das ist toll.
Kl: Ich fühle mich auch irgendwie gut, da ist irgendwie nichts. - Die Klientin stöhnt. - Ich kann es auch nicht ändern, ich habe nur tolle Bilder.
Th: Ja, ist doch ok. Da hast du jetzt eh lange genug drauf gewartet und hast immer gejammert - bei dir würde sich nie was verändern.
Kl: Ja, aber das ist doch auch nicht normal - ich sehe eine Wiese - also, das kommt mir blöd vor: Da ist jetzt eine Frühlingswiese, die Sonne scheint ...
Th: Ja, du hast eh immer Schwierigkei-ten, was Schönes anzunehmen, ist schon klar.
Kl: Ja, ihr Bilder, es fällt mir schwer, an euch zu glauben. Obwohl, eigentlich spü-re ich auch so eine Leichtigkeit in mir. Ich sehe die Wiese und meinen weissen Vogel.
Th: Ja, toll, begrüsse ihn doch mal.
Kl: Hallo Vogel, mir kommt das alles hier nicht echt vor. - Ja, er sagt jetzt auch, dass ich das Schöne nicht annehmen will und in dieser Sitzung soll ich das jetzt lernen. ... Jetzt kommt mein Troll, der springt rum und ... - Die Klientin stöhnt - Ich kann das nicht glauben. - Echt, so ein Schmarrn, jetzt ertönt Walzermusik im Hintergrund und jetzt tauchen tanzende Elfen auf. Oh Gott! Nein, nein, nein! Das ist zu kitschig. Ihr seid nicht echt, Bilder. Oh Gott, jetzt fragt mich der weisse Vogel, ob ich ein bisschen mit ihm rumfliegen will. - Wie soll ich das denn an-nehmen, ich kann das nicht. - Und jetzt sagt der weisse Vogel, genauso kannst du Gesundheit nicht annehmen. Ja, das stimmt: Immer wenn es mir besser geht, kommt wieder ein Infekt. - Aber ich kann euch nicht glauben Bilder, ich kann es nicht.
Th: Sag’ mal „Ich will es nicht.“
Kl: Ich will schon irgendwie. Ich spüre auch, dass mein Herz jetzt aufgeht, aber dann will ich es wieder nicht. - Es ist so, als ob mein Herz ganz gross ist, aber irgendwie eingesperrt. Herz, du kannst dich gar nicht öffnen. Das schwankt so, erst will ich es, dann wieder nicht. - Die Klientin stöhnt und atmet intensiv. - Ich kann es so schwer annehmen, dass ich schöne Bilder habe. Ich habe das Ge-fühl, ich muss eigentlich ins Drama und leiden. Und wenn dann was Schönes kommt, dann vertraue ich dem nicht. Schöne Gefühle, ich spüre euch, aber ich vertraue euch nicht. - Jetzt verändert sich auch mein Körpergefühl. Ich habe das Gefühl, ich bin so gross wie die Erde. Zeitlosigkeit, Schwerelosigkeit. Jenseits von Zeit und Raum ... Das wird jetzt immer intensiver.
Th: Ok., beobachte einfach, was von selbst passiert.
Kl: Das fühlt sich nach ganz tiefem Los-lassen an. - Die Klientin atmet tief durch. Der Körper beginnt zu zittern.
Th: Schau’ dich mal um, wo du bist.
Kl: Im Weltall. - Weltall, Sterne ... Ich habe das Gefühl, als ob ich mich gleich in euch auflöse. Das passiert jetzt schon, mein Körper fliesst auseinander. - Die Klientin stöhnt. - Jetzt bin ich in dem Schwarzen aufgelöst. Diese Leichtigkeit ist jetzt wieder da. - Aber jetzt kommt schon wieder - Darf ich mir das überhaupt erlauben? - Aber es tut so gut. - Musik - lange Pause - Jetzt sehe ich ganz viele Horrorszenen, die sich langsam entfernen und verabschieden. Aber ich glaube nicht, dass ihr euch jetzt schon entfernt. Ich habe doch gerade erst angefangen, mich tiefer auf euch einzulassen. - Jetzt regnet es Blumen.
Th: Ja, ist doch toll. Kannst du es annehmen?
Kl: - lacht - Jetzt regnet es Geld und Herzen. - Die Klientin stöhnt. - Oh nein!
Th: Ja, vielleicht deshalb, damit du wahrnimmst, dass du die Bilder nicht produzierst - weil das würdest du freiwillig nicht machen.
Kl: Nee, bestimmt nicht. Ich glaube, Blümchen und Herzen hatte ich bisher noch nie in einer Sitzung.
Th: Ja, du warst immer jemand, der seine Herzchen und seinen Walzer verdrängt. Aber, was willst du machen, jetzt ist er da.
Kl: Oh nein, jetzt kommt Gabi (eine Arbeitskollegin, mit der sie Schwierigkei-ten hat) auf einem riesen Herz vom Himmel und will mit mir tanzen.
Th: Ja, jetzt wird es eng für dich.
Kl: Wie peinlich, jetzt tanze ich mit Gabi Walzer. Oh nein!!! Oh Gott, wir tanzen auf einer Frühlingswiese Walzer und es regnet rosa Herzen. Nein, das kann nicht echt sein. - stöhnt -
Th: Nein, also das kannst du echt nicht freiwillig prduzieren. Langsam halte ich auch die Möglichkeit für möglich, dass da jetzt fundamental was in dir passiert ist.
Kl: Kann es nicht doch sein, dass ich mir das alles nur einbilde?
Th: Dann stell’ dir doch mal andere Bil-der vor. Sei doch mal ein bisschen fies zu Gabi.
Kl: Ja, aber der Antrieb dazu ist nicht da.- Klientin und Therapeut lachen. - Ah, mir wird ganz heiss. Mir ist das irgendwie unangenehm. Aber ich kann nicht an-ders. - wütend: Jetzt kommen auch noch die Kinder ... - fängt an zu weinen - Also, ihr berührt mich jetzt irgendwie. - weint - Carina kommt jetzt auf mich zu und sagt, heute ist es aber schön in deiner Innen-welt. - Ja weißt du, Carina, ich kann das nicht so richtig annehmen. Ich befürchte, das ist alles nur ausgedacht. - Jetzt gibt sie mir eines der Herzen in die Hand und sagt, fühl’ doch mal.
Th: Fühlst du es?
Kl: - unter Tränen: Ja. ... Weisst du, Carina, in den letzten Sitzungen waren viele positive Veränderungen, aber ich hatte noch nie solche Bilder. Und meine Eltern sind auch in der Realität total verändert. ... Jetzt taucht mein Körper auf. - Körper, manchmal hasse ich dich noch, weil ich das Gefühl habe, dass ich mich nicht auf dich verlassen kann, dass du mich im Stich lässt und dann beschimpfe ich dich immer. Wie ist das für dich? - Er sagt, ich werde trotzdem immer für dich da sein. - Mein Körper geht jetzt über die Blumenwiese, schnuppert mal hier und mal da, schnuppert am neuen Leben und muss sich erst zurecht finden im neuen Leben, habe ich das Gefühl. - Die Klien-tin ist berührt.
Th: Endlich hast du auch mal was schönes, gell?
Kl: - unter Tränen: Aber das Schlimme ist, dass ich dem nicht vertrauen kann. Bilder, ich will euch gerne behalten und ich versuche euch jetzt mal zu vertrauen. Aber ich habe Angst, dass ich nicht fähig bin, mein Herz für euch zu öffnen und dass ihr mich deswegen wieder verlassen werdet. Ich habe Angst, wenn ich euch nicht annehmen kann, dann verschwindet ihr wieder.
Th: Das klingt so nach einem Grund-muster - kennst du das aus deinen Beziehungen? - Die Klientin bejaht - Das spiegelt sich überall wieder.
Kl: Ja, auch in den Sitzungen glaube ich immer, ich schaffe es eh wieder nicht, mich zu öffnen und Gefühle zu zulassen. Ausserdem denke ich mir, dass sowieso jeden Moment eine schwarze Wolke kommt.
Th: Dann ruf’ sie doch herbei und rede mit ihr.
Kl: Schwarze Wolke, ich habe Angst, dass du jeden Moment kommst und alles kaputt machst. - Jetzt kommt sie und sagt, bin schon da.
Th: Guck mal, ob sie alles kaputt macht. Und wenn nicht, dann gib’ ihr den Auf-trag. Dadurch kannst du dann sehen, wie stabil die schönen Bilder sind.
Kl: Also, schwarze Wolke, wenn du alles kaputt machen willst, dann erlaube ich es dir jetzt. - Jetzt regnet es, aber das macht gar nichts kaputt. - Die Klientin mit motziger Stimme - Die Wolke zieht jetzt weiter und jetzt blüht sogar alles noch mehr auf.
Th: - lacht - Wie war das mit dem Selbst-organsiationsprozess? Der geht immer nur in Richtung höhere Ordnung, da kannst du machen, was du willst. - Therapeut und Klientin lachen.
Kl: Naja, das ist jetzt ja nur ein Zwi-schenergebnis, es kommen auch wieder schlimme Sessions - stimmt’s weisser Vogel? Er sagt, ja, aber ich soll jetzt einfach mal das Schöne annehmen, was ich mir bisher erarbeitet habe. ... Also, heute scheint auch nichts Neues mehr zu kommen. Ich bin auf der Wiese, da sind Blu-men und Sonnenschein und mein Körper und die Kinder ... Meine Eltern kommen jetzt wieder Arm in Arm, lächeln wohlwollend und applaudieren jetzt. Sie sagen, ich hätte das alles toll gemacht und sie profitieren auch davon, weil sie durch meinen Prozess auch lebendiger werden. ... Aber mir ist das alles so peinlich. Schäme ich mich denn für das Schöne in mir? Wenn ich an meine ersten Sessions denke, da war ja nur Beton und Morden und Meucheln und Köpfe abschlagen und Vergewaltigung und Blut ... Und jetzt das. Das kann doch gar nicht sein, oder?
Th: Nein, der weisse Vogel hat schon recht. Der Schatten, der noch unerlöst ist, der drängt nach. Es wird jetzt mehr hoch und mehr tief. Du kannst dich jetzt auch trauen, tiefer rein zu gehen. Der Punkt ist nur, kannst du das Schöne jetzt erlauben, damit es dann weitergehen kann.
Kl: Ich kann es schon erlauben, nur ich kann es so schwer glauben. Aber es kann ja gar nicht sein, dass ich mir die schönen Bilder nur ausdenke, denn ich habe es doch bisher auch noch nie geschafft, mir schöne Bilder auszudenken. ... Was soll ich denn jetzt machen? - Die Bilder sagen, komm’ einfach tanzen. ... Ich sehe mich jetzt als weissgekleidete Jungfrau mit einem Blumen-kranz im Haar.
Th: - lacht - Jetzt wird es wirklich kitschig.
Kl: Und jetzt kommt ein Mann und der trägt mich in ein weisses Himmelbett. Er sagt, er ist mein Prinz. - Die Klientin lacht vergnügt. - Und jetzt fliegen ganz viele weisse Vögel über dieses Bett und lassen rote Rosen auf uns regnen. Also, das ist doch jetzt wirklich, also ... Bin ich so?
Th: So nach dem Motto: Diesen Schat-tenanteil wollte ich nie kennen lernen. Deshalb musstest du dich immer so unnahbar machen.
Kl: - stöhnt: Ja, und jetzt reiten wir auf so einem weissen Schimmel in ein weisses Schloss ... Er sagt jetzt „Ich liebe dich“ und ich sage „Ich liebe dich.“ Und jetzt führt er mich zu seiner Schatzkam-mer voller Gold und Diamanten und sagt, das würde jetzt alles mir gehören. Und jetzt bin ich Königin ... Oh Mann, jetzt reicht es aber. Ich versuche es ja anzunehmen, aber das ist so schwer. - Jetzt sehe ich mich, wie ich durch das Volk reite und die jubeln mir alle zu. ... Und jetzt geht der Vorhang zu. ... Und jetzt erscheint der Troll und sagt: „Na - Lust auf Leben?“ - nach einer längeren Pause - Ja. - Er sagt, was du heute gesehen hast, ist dein Potential, aber du wirst noch ein bisschen daran arbeiten müssen, bis du das annehmen kannst. ... Aber Troll, ist das nicht alles Schein, wie eine Luftblase, die zerplatzt? - Der Troll sagt, was brauchst du noch, damit du es glaubst? ... Ich gehe jetzt nochmal zum Vorhang und schaue mal nach, ob dahinter noch alles da ist. - Ja, ist alles noch da. - Ich will nur, dass ich noch offener bin und berührt von den Bildern. Dass ich mein Herz mehr aufmache und dass da weinger Zweifel, Ironie und Sarkas-mus sind. Eigentlich sehne ich mich ja nach euch, Bilder, aber ich habe immer Angst, dass ich es nicht schaffe, mein Herz zu öffnen und dann schlage ich einfach drauf aus Angst, sowieso zu versagen. Jetzt taucht nochmal Carina auf und sagt, ich weiss, dass du dein Herz aufmachen kannst und du weisst es auch. Herz, können wir nicht einen Vertrag machen: Du öffnest dich ein bisschen mehr für das Schöne und ich verspreche dir, dass ich nicht mehr drauf schlage? Mein Herz nickt. Und jetzt geht der Vorhang wieder zu. - Musik zum Ankern wird eingespielt. Die Klientin ist tief berührt. -